Brauchen wir Adlershofer eine „Neue Mitte“?
Weil unkonventionelle Ideen oft eher zufällig beim Cafeteriaplausch oder beim Feierabendbier entstehen, sind einladende Treffpunkte gefragt. Das neue Besucher- und Veranstaltungszentrum am Forum soll so einer werden.
Seit ein paar Monaten beobachten wir Adlershofer gespannt die Baumaßnahmen an den ehemaligen Laborhäuschen auf dem Forum. Endlich entsteht dort etwas, was den Platz beleben und als Treffpunkt dienen kann. Nach jahrelangen intensiven und immer wieder erfolglosen Bemühungen dort einen Studentenclub, eine Pizzeria oder eine Brauerei anzusiedeln, schließlich ein Hoffnungsschimmer am Horizont. Denn die von Künstlern und Städtebauern gepriesene Platzsituation mit den aufgeschnittenen Köpfen wirkt nicht nur auf mich so gar nicht einladend. Vielleicht hätten allein schon ein paar Bäume die Aufenthaltsqualität verbessert? So aber stellt sich die sogenannte Neue Mitte noch als Betonwüste dar, über die im Winter der Wind kräftig den Regen peitscht und auf deren Pflaster man im Sommer locker Spiegeleier braten könnte. Kein Wunder, dass sich dort kaum jemand aufhält und potenzielle Nutzer nur eiligen Schrittes den Platz überqueren.
Aber brauchen wir denn überhaupt eine belebte Mitte? Zwei Argumentationslinien sprechen eindeutig dafür: Man kann es wissenschaftlich begründen und auch emotional erklären.
Wissenschaftlich betonen alle Ansätze zu innovativen Milieus und wettbewerbsfähigen Clustern – und diesen Anspruch erhebt Adlershof für sich – die Bedeutung von Treffpunkten. Internet und Videokonferenzen können das direkte Gespräch nicht ersetzen. Nur dort kann noch nicht kodifiziertes Wissen – sogenanntes tacit knowledge – ausgetauscht werden. Oftmals werden in Gesprächen bisher unverbundene Ansätze verknüpft, ergeben sich Lösungsperspektiven für Probleme oder entstehen überhaupt erst Ideen für neue Ansätze. Solche kollektiven Lernprozesse sind entscheidend für Innovationen und Wettbewerbsfähigkeit. Und ganz wichtig ist, informell müssen diese Gespräche sein. Weil so ein Austausch besonders gut an „dritten Plätzen“, die weder Wohn- noch Arbeitsort sind, funktioniert, wird dieser Vorgang oft als Cafeteria-Effekt bezeichnet. Diese „dritten Plätze“ müssen wie die „Neue Mitte“ für alle Akteure leicht erreichbar sein, sonst behindern Transaktionskosten (das sind zum Beispiel Aufwendungen für Organisation, Absprache oder Anreise zu den Treffen) deren Funktion. Ein bisschen erfüllen das Erwin Schrödinger-Zentrum und die Kantinen schon diese Aufgabe, aber deren Ambiente ist eben vor allem funktional und lädt weniger zum Verweilen ein.
Emotional fühlen alle Adlershofer vor allem noch ein Angebotsdefizit zu späteren Stunden. Tagsüber – und erst recht an schönen Tagen während des Semesters – ist der Standort schon gut belebt. Aber abends ist hier weniger los als auf dem Friedhof. Unsere auswärtigen Gäste bevorzugen deshalb Hotels in Berlin-Mitte statt in Adlershof. Am Wissenschaftsstandort gibt es nach Vorträgen, Sitzungen oder Tagungen kaum Möglichkeiten, sich noch einmal für ergänzende Diskussionen oder zum Zwecke der Sozialisation gemütlich zusammenzusetzen. Und wo sollen wir uns für formlose Gespräche oder schlicht zum „After-work-Absacken“ treffen? Die Kantinen sind zu und Restaurants fehlen.
Diese Lücke kann durch die Ergänzung der „Neuen Mitte“ mit einem attraktiven Gastronomie- und Architekturkonzept gefüllt werden. Dann wird das Angebot sicherlich auch intensiv genutzt. Bedarf und Potenzial für eine belebte Mitte sind jedenfalls vorhanden.
Ihr
Elmar Kulke
Professor für Wirtschaftsgeographie der Humboldt-Universität zu Berlin