Blühende IT-Landschaft
In Deutschland stockt die digitale Transformation? Nicht in Adlershof.
Der Campus ist gut aufgestellt – Unternehmen und Forschungseinrichtungen setzen Maßstäbe. Allerdings geht auch an ihnen der Fachkräftemangel nicht spurlos vorüber.
Auf den Gängen der GFaI, der Gesellschaft zur Förderung angewandter Informatik e. V., in der Volmerstraße herrscht oft reges Treiben. Warum das eine Bemerkung wert ist? Weil sich derzeit viele IT-Unternehmen mühen, ihre Belegschaft wieder ins Büro zu bugsieren.
Bei der GFaI muss niemand derartige Überzeugungsarbeit leisten oder gar Druck ausüben. Ein Großteil der 150 Mitarbeitenden kommt gerne ins Büro. Das liegt zum einen an der guten Arbeitsatmosphäre, wie Silvia Schwochow, stellvertretende Geschäftsführerin der GFaI, betont. Zum anderem aber auch daran: „Wir haben nach dem Push für hybrides Arbeiten durch Corona mit der Belegschaft eine GFaI-weite Befragung durchgeführt, um zu klären, wie wir künftig arbeiten möchten“, berichtet Schwochow.
Heraus kam: Bis zur Hälfte der Arbeitszeit kann mobil gearbeitet werden und es gibt feste Präsenztage: „So wird garantiert, dass sich alle im Büro treffen und austauschen können, was im Bereich Forschung und Entwicklung elementar ist.“ Ebenso elementar, wie Mitarbeitende an wesentlichen Entscheidungen wie der über den Arbeitsmodus miteinzubeziehen – das schafft Akzeptanz.
Denn Schwochow und dem GFaI-Team ist klar: Digitalisierung kann auch zu Vereinsamung führen: „Entfremdung ist ein großes Problem.“ Im Job, aber auch privat. Fast logisch, dass die meisten Mathematiker und Informatikerinnen den Homeoffice-Rahmen nicht ausschöpfen und lieber in die Volmerstraße kommen.
Eine Erfahrung, die auch Susann Niemeyer, Leiterin der drei Zentren für IT und Medien der WISTA Management GmbH, macht: „Der Bedarf, im Homeoffice zu arbeiten, ist da, doch viele möchten das Büro nicht missen, weil sie dort besser arbeiten können und den sozialen Kontakt suchen. Auch Veranstaltungen, wie etwa die ‚Private 5G Customer Journey‘, die im Dezember 2023 in der a:head area stattfand und zum Eintauchen in die Welt von Augmented-, Virtual und Mixed Reality einlud, locken Mitarbeitende und technologieorientierte Firmen wieder nach Adlershof.“
In den IT-Zentren mit einer Gesamtfläche von 13.400 Quadratmetern stehen momentan 500 Quadratmeter für die kleinteilige Anmietung zur Verfügung. Niemeyer reagiert auf den Trend zum Homeoffice mit verschiedensten Angeboten, etwa mit der Neugestaltung und Modernisierung der gemeinschaftlich genutzten Flächen, flexiblen Mietverträgen und neuen Bürokonzepten. In Vorbereitung ist ein Projekt von Studierenden der bbw Akademie für Betriebswirtschaftliche Weiterbildung, das untersuchen soll, ob Shared Offices für IT-Unternehmen eine gute Alternative sein könnten und wie sie ausgestattet sein müssten.
Eine weitere Möglichkeit, Mitarbeitende wieder aus dem Homeoffice zu locken, sind die zur Verfügung stehenden Coworking-Flächen. „Diese könnten insbesondere für Start-ups attraktiv sein, die in Adlershof besonders willkommen sind“, so Niemeyer. Hier tummeln sich bereits einige spannende Newcomer wie SMART CITY FACTORY oder Synogate, aber auch IT-Schwergewichte wie Phoenix Contact oder Siemens Mobility Global.
Silvia Schwochow möchte nicht allzu laut klagen, doch die GFaI könnte gern noch von neuen Mitarbeitenden verstärkt werden. „Wie jeder in der IT-Branche spüren auch wir den Fachkräftemangel“, sagt sie. Immerhin führt die Kooperation mit Berliner Hochschulen für angewandte Wissenschaften dazu, dass einige Absolventen gleich bei der GFaI anfangen. Das größte Pfund, mit dem das Forschungsinstitut wuchern kann, sind die Arbeitsthemen, betont Schwochow. Bereiche wie Energie- und Ressourcenoptimierung oder künstliche Intelligenz wirken wie ein starker Magnet.
Personell ist die Adlershofer lesswire GmbH gut aufgestellt – und die Auftragsbücher sind gefüllt. Die Firma entwickelt und fertigt mobile Connectivity-Lösungen für die Fahrzeugindustrie. „Wir sorgen beispielsweise für eine Art FritzBox in Reisebussen“, erklärt Frank Borrmann, Managing Director von lesswire. Wer unterwegs in Bus oder Auto im Netz surft, der greift dabei wahrscheinlich auf die Technik von lesswire zurück. Auf der Kundenliste stehen unter anderem Audi, Bentley, BMW, Bosch, Continental, Mercedes-Benz, Porsche und VW. Das Unternehmen versteht sich als One-Stop-Shop, heißt: Beratung, Entwicklung, Industrialisierung, Zertifizierung, Qualifizierung und Fertigung kommen aus einer Hand.
Wobei das Team verteilt arbeitet und eine IT-Entwicklungseinheit von Ungarn aus agiert. Was allerdings nicht heißt, dass sich ein Großteil der Belegschaft ins Homeoffice zurückgezogen hat. Im Gegenteil: „Da wir Software und Hardware für Embedded Systeme entwickeln, müssen Produktentwickler:innen vor Ort sein, um sich auf kurzem Wege abzustimmen und schnell Lösungen zu entwickeln“, sagt Borrmann. „Dafür haben unsere Mitarbeitenden ein gutes Gefühl.“ Großangelegte „Rückholaktionen“ wie in anderen IT-Unternehmen muss Borrmann nicht starten – das Team arbeitet lieber im Büro als zu Hause.
Auch die schnellen Entwicklungszyklen verbieten langatmige Abstimmungsrunden über ein paar Ecken und etliche Teams-Sitzungen. „Bei Kunden müssen wir mit einer fast fertigen Lösung punkten, die dann im besten Fall nur noch angepasst werden muss“, berichtet Borrmann. „Die Zeiten von PowerPoint-Präsentationen bei einem Pitch sind vorbei.“ Denn wer nur grob die Idee einer Neuentwicklung präsentiert und diese dann erst zwei Jahre zur Marktreife entwickelt, ist draußen. IT bedeutet Geschwindigkeit.
Offenbar nur nicht, wenn es hierzulande um die ländliche Netzabdeckung geht, bedauert Borrmann: Denn die schönste Telematik für kostenloses WLAN im Reisebus bringt nichts, wenn bei einer Überlandfahrt kein oder nur langsames Internet verfügbar ist. Hier müsse Deutschland dringend nachsteuern, appelliert Borrmann. Damit ist er nicht allein.
Chris Löwer für Adlershof Journal