Aus dem Laborbuch der Natur
Das Adlershofer Start-up Alganize nutzt Mikroalgen gegen Bodenerosion
„Ich habe 2018 an einem Projekt in Indien mitgewirkt. Dort sind mir die wahren Dimensionen der Bodenerosion bewusst geworden“, erzählt Nils Brüggemann. „Die Lebensgrundlage vieler Landwirte war zerstört und die Suizidrate unter den Betroffenen stieg in die Höhe.“ Das hat den jungen Agrarwissenschaftler nachhaltig beeinflusst. „Damals habe ich beschlossen, mich auf Bodenregeneration zu fokussieren und nach Möglichkeiten zu suchen, Bodenerosion wieder rückgängig zu machen.“ Gemeinsam mit seinem Mitgründer Omar Khalaf ist er auf Mikroalgen gestoßen. Die Idee für Alganize war geboren.
„Die wesentlichen Bodenfunktionen werden von Mikroorganismen übernommen. Und diese können durch menschengemachte Effekte stark zurückgehen“, erklärt Khalaf und bringt ein Beispiel: „Nutzen Landwirte chemischen Dünger, verändert das den pH-Wert des Bodens. Viele Bakterien fühlen sich unter den neuen Bedingungen nicht wohl, können ihre Funktion nicht mehr erfüllen oder sterben ab.“ Hier will der Biotechnologe ansetzen. „Wir haben uns nun gefragt, wie wir die winzigen Arbeiter im Boden wieder zu Höchstleistung anspornen können.“ Die Antwort auf diese Frage nennen die beiden Gründer „Alganize“. So heißen ihre im Startup-Inkubator der Humboldt-Universität zu Berlin ansässige Firma und ihr Produkt, das sie in den vergangenen beiden Jahren entwickelt und im Labormaßstab sowie bei Feldversuchen getestet haben.
Das kommt in flüssiger Form in großen Containern bei den Landwirten an. Mit Wasser oder Gülle gemischt, wird es auf die Felder aufgetragen und soll dort helfen, die Böden zu verbessern und die Bodenerosion zu stoppen. Was genau in dieser Suspension steckt, verrät Khalaf: „Die Chlorella-Alge produziert wertvolle Stoffwechselprodukte, um selbst zu wachsen und um Symbiosen mit anderen Mikroorganismen einzugehen. Das sind zum Beispiel Vitamine, Phytohormone, Aminosäuren oder reduzierte Zucker.“
Werden diese auf die Felder aufgebracht, dienen sie den dortigen Mikroorganismen als Nahrung. Und deren Gemeinschaft wiederum ist für ein gesundes Pflanzenwachstum essenziell. Denn sie binden beispielsweise Stickstoff aus der Luft, den Pflanzen zum Wachsen brauchen. Und sie lösen Minerale wie Phosphor und Kalium aus dem Gestein und machen sie für die Pflanzen verfügbar. „Auch die lebenden Mikroalgen, die noch in unserer Suspension schwimmen, helfen dem Boden“, fügt Brüggemann hinzu. „Denn sie wirken wie kleine Schwämme und erhöhen damit die Wasserspeicherfähigkeit im Boden. Außerdem können sie durch ihre gallertartige Konsistenz Sandpartikel miteinander verkleben. Dadurch entstehen im Boden Hohlräume, welche sowohl für physikalische als auch biochemische Prozesse wichtig sind.“
Dass ihr Konzept vielversprechend ist, haben Brüggemann und Khalaf bereits gezeigt. Dank des Berliner Startup-Stipendiums konnten sie seit Mai 2022 ein Jahr lang Forschung und Entwicklung intensiv vorantreiben. Jetzt haben sie den nächsten logischen Schritt getan und ihr Unternehmen gegründet. „Eine unserer wichtigsten Aufgaben in den kommenden Monaten ist es, unsere ‚First Mover‘ gut zu begleiten“, sagt Brüggemann. Gemeinsam mit den Landwirt:innen, die Alganize bereits einsetzen, sammeln sie nun Daten im Feldeinsatz. Denn sie wollen ihre regenerativen Methoden wissenschaftlich untermauern. „Wir müssen beweisen, dass sich unsere Ergebnisse aus dem Labor und den Gewächshäusern auch auf die großen Flächen übertragen lassen“, fügt Khalaf hinzu und freut sich, dass er mit Alganize sein ganz persönliches Ziel wahr werden lässt. „Ich wollte schon immer von der Natur lernen und sie als Vorbild für uns Menschen nutzen“, sagt er. „Denn für mich ist die Evolution die größte Forscherin und die DNA ist ihr Laborbuch. Darin ist alles gespeichert und wird von Jahr zu Jahr verbessert.“
Kai Dürfeld für Adlershof Journal