Attraktiver als Homeoffice
Die WISTA erprobt neue Raumkonzepte für hybrides Arbeiten
Wenn wissensbasierte Arbeit dezentral erledigt wird – sei es im Homeoffice, auf Reisen oder im Café –, ist das bequem. Doch es hat auch Nachteile. Teamwork, das soziale Miteinander, anregende Diskussionen und auch Zufallsbegegnungen werden erschwert oder fallen weg. Die WISTA erprobt daher neue Raumkonzepte für ein hybrides Arbeiten, das das Beste aus beiden Welten verbindet. Innenarchitektur und -design kommen dabei eine wichtige Rolle zu.
Als Architekt braucht Robert Wingendorf nicht viele Striche, um die Entwicklung der Arbeit in den letzten 170 Jahren zu skizzieren: Wie die Industrialisierung die räumliche Trennung von Wohnen und Arbeiten forcierte, in Büros an vereinzelten Schreibtischen mit Blick auf den Supervisor gearbeitet wurde, sich das Management in eigene Denk- und Arbeitszirkel zurückzog und es in der heutigen innovationsgetriebenen Welt auf interdisziplinäre Teamarbeit und Wissensnetzwerke ankommt – und wie sich all das in Raumkonzepten widerspiegelt.
Dieser zuletzt ohnehin schon rasante Wandel nimmt seit der Pandemie Fahrt auf. Das Gespräch mit Wingendorf ist dafür Beleg. Denn von Tallin aus ist die Innenraum- und Arbeitsplatzdesignerin Urve Liivak zugeschaltet. Der Geschäftsführer der WISTA Management GmbH, Roland Sillmann, nimmt von Kiel aus teil.
Und der Autor sitzt im Berliner Homeoffice. Vier Personen, vier Orte, vier Räume. Doch Wingendorf, Liivak und Sillmann betonen, wie sehr sie ihre regelmäßigen Treffen in Adlershof für ihre gemeinsame Arbeit brauchen. Welche Rolle ihr persönlicher Austausch und der enge Kontakt zu den Menschen spielen, für und mit denen sie neue, flexible Raumkonzepte für das hybride Arbeiten der Zukunft entwickeln.
In Adlershof entstanden erste Coworking-Spaces schon vor der Pandemie. Im Charlottenburger Innovations-Centrum (CHIC) haben Liivak und Wingendorf gerade einen weiteren geschaffen. Vorhänge, Teppich, modern möblierte, gruppenweise angeordnete Arbeitsplätze und bequeme Sessel schaffen in Verbindung mit der farblichen Gestaltung eine Ausstrahlung von Wärme und Seriosität. CHIC-Start-ups sollen hier künftig arbeiten, andere Teams treffen, Besuch empfangen, Bewerbungs- und Kund:innengespräche im repräsentativen Rahmen führen. „Die Grundlage jedes erfolgreichen Unternehmens sind die Menschen. Sie müssen sich in der Umgebung, in der sie arbeiten, wohlfühlen“, erklärt Liivak. Gute Raumkonzepte regen die soziale Interaktion an und schaffen so einen attraktiven Gegenpol zur schleichenden Vereinzelung im Homeoffice.
Roland Sillmann ist dieser Punkt sehr wichtig. Die Begegnungen und die enge Vernetzung der wissenschaftlichen Institute und Unternehmen in Adlershof – oder präziser: der Menschen, die dort arbeiten – seien ein entscheidender Faktor für den Erfolg von Deutschlands modernstem Technologiepark. „Es braucht Diversität, die unterschiedlichen Perspektiven auf die Welt und den persönlichen Austausch. Denn genau das regt die kreativen Prozesse an, in denen Ideen und Produkte für die Zukunft entstehen“, sagt er. Das hybride Arbeiten biete die Chance, gekappte Verbindungen zu beleben. Dafür müsse und werde die Arbeit näher an die Lebensorte rücken. Coworking-Spaces können fixe Standorte wie Adlershof ergänzen und urbane Zentren entlang von Innovationskorridoren mit den ländlichen Räumen verbinden, in die es viele Beschäftigte mit ihren Familien zieht. Die WISTA treibe solche Konzepte systematisch voran.
Dass sie mit Urve Liivak eine estnische Spezialistin hinzugezogen hat, ist kein Zufall. Im Baltikum ist eine moderne Arbeitswelt entstanden, in der die Arbeitsräume nicht nur auf dem Papier als Lebensräume dienen. Start-ups und Unternehmen haben dort nicht das Problem, dass sie ihre Beschäftigen aus den Homeoffices locken müssen: „Sie kommen gerne, auch weil die Räume oft so gemütlich, attraktiv und innovativ gestaltet sind“, sagt Liivak. Das schaffe die Atmosphäre für konzentriertere Solo- und kreative Teamarbeit sowie für lebendige Pausen.
Diese Erfahrungen fließen nun in jene Konzepte ein, die sie gemeinsam mit Wingendorf entwickelt. Wie im Prototyping kreieren die beiden verschiedene Räume, suchen im Vorfeld und während der Nutzung das Gespräch mit deren Nutzerinnen und Nutzern und werten deren Aussagen systematisch aus. Mit diesem Dreiklang aus Testen, Validieren und Verifizieren sind sie den Start-ups im CHIC und den 1.200 Adlershofer Unternehmen methodisch sehr nahe. Auch wenn die Räume am Ende leicht und lebendig wirken sollen, ist das Ganze mitnichten ein Spiel: „Um uns im globalen Wettbewerb zu behaupten, sollten wir in Deutschland nicht nur auf Effizienz setzen, sondern unsere kreativen Potenziale ausschöpfen“, mahnt Sillmann. Welche Rolle Räume und ihre Atmosphäre dabei spielen, werde noch immer unterschätzt. Daher liegt ihm so am Miteinander mit den Fachleuten: „Sie sind in der Lage die Experimentierräume, die wir ihnen anbieten, mit ihrer Kreativität und professionellen Methodik zu füllen“, betont er. So entstünden tatsächlich Arbeitsumgebungen mit Zukunft, die dem Homeoffice eine attraktivere Alternative entgegensetzen.
Peter Trechow für POTENZIAL