An der Schnittstelle
Chung-Young Kim: Berufsalltag zwischen Adlershof und Korea
In der Nacht des Mauerfalls war er mit seinem Bruder auf den Beinen. „Wir haben das im Fernsehen gesehen, sind zum Brandenburger Tor und auf die Mauer rauf. Das war gar nicht so einfach, ich war ja erst zwölf.“ Die Eltern hatten Nachtschicht im Krankenhaus; von dem Ausflug haben sie nichts erfahren. Oben auf der Mauer meldete sich dann dummerweise das Bedürfnis, dringend auf die Toilette zu müssen – Minuten der Panik: „Es hat aber noch geklappt.“
Chung-Young Kim ist eben, wie er sagt, ein „Urkreuzberger“. Er wurde vor 39 Jahren in Berlin als Sohn koreanischer Einwanderer geboren. Ausbildung zum Bürokaufmann, anschließend ein dreijähriges Abendstudium der Betriebswirtschaftslehre an der Berliner Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie (VWA). Eine anstrengende Zeit. Tagsüber arbeiten, abends drei Stunden in einem Hörsaal der Technischen Universität. Doch der Drang, mehr zu erreichen, ist ein starker Antreiber: „Als Bürokaufmann kommt man ganz schnell an die Grenze.“
Der frischgebackene Betriebswirt Kim führte zunächst die Geschäfte dreier Berliner Burger-King-Restaurants. Hatte drei Jahre lang einen Schreibtisch am Rande des Tiergartens als Büroleiter des Chefs der Politischen Abteilung der Botschaft Südkoreas. An eine Grenze stieß er auch hier. Mit seinem deutschen Pass kam er für eine höhere Laufbahn im koreanischen Auswärtigen Dienst nicht in Frage. So verbringt er seit 2011 seine Arbeitstage im zweiten Geschoss eines grauen Zweckbaus in der Adlershofer Schwarzschildstraße. Die Firma MGB Endoskopische Geräte fertigt hier mit 32 Mitarbeitern Präzisionstechnik für die minimalinvasive Chirurgie. Seine Funktion als Produktmanager beschreibt Kim mit den Worten, sie sei das „Bindeglied“ zwischen Entwicklung, Produktion und Vertrieb.
Gefragt ist seine Kompetenz indes auch an einer anderen, einer kulturellen Schnittstelle. Er ist, wie er sagt, so etwas wie die „zwischenmenschliche Brücke“ des Unternehmens in Adlershof zu den Kollegen des in Seoul ansässigen Mutterkonzerns. Das ist auch der Weitsicht der Eltern zu verdanken, die den Fünfjährigen bereits zweimal in der Woche in eine Berliner koreanische Schule schickten, mittwochs und sonntags nach der Kirche: „Mit 13 hab‘ ich gesagt, das mach‘ ich nicht mehr.“ Seine schriftlichen Kenntnisse des Koreanischen lassen denn auch, wie er meint, zu wünschen übrig. Doch zum Glück gibt es Schreibprogramme.
Samstags ist Kim im Moabiter Sportstadion anzutreffen bei den Kickern des „FC Baeko“. Lauter junge Leute, mit seinen 39 ist er der Senior. Studenten aus Korea haben den Fußballverein 2010 gegründet. Kim bewundert den Unternehmergeist der Kickerkollegen. Die meisten hätten sich in jungen Jahren schon selbständig gemacht. „Mutige Menschen.“ Weitere Hobbys? „Ich gehe leidenschaftlich gerne essen.“ Damit allerdings sei es in Adlershof noch nicht weit her: „Eine größere Vielfalt würde der Gegend echt gut tun.“ Immerhin: „Es wird ja fleißig gebaut hier. Da könnte man was hinkriegen.“
Von Winfried Dolderer für Adlershof Journal