Alter schützt vor Gründung nicht
Erfahrung und Ausdauer sind eine gute Mischung für wirtschaftlichen Erfolg
„Ich bin optimistisch, dass wir in den nächsten ein bis zwei Jahren mit eigenen Produkten auf den Markt kommen“, sagt Erhard Kemnitz, Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und Existenzgründer, beim Gespräch im Adlershofer Chemieinstitut. Ein paar Straßen weiter befinden sich die Räume der Nanofluor GmbH, spezialisiert auf die Herstellung fluoridhaltiger Sole. Die in diesen Lösungen schwimmenden, nur ein paar Nanometer (Millionstel Millimeter) großen Partikel aus Metallfluoriden sind fürs Auge unsichtbar. Damit lassen sich kratzfeste Schichten herstellen, die Licht fast vollständig durchlassen. „Derzeit sind wir bei 99,8 Prozent Transmission“, sagt der Chemiker. Man kann dies zur effektiveren Entspiegelung von Brillengläsern nutzen.
Kratzfest und lichtdurchlässig
Vier Jahre nach der Gründung der Firma ist Kemnitz insgesamt zufrieden. Etwa 40 Firmen nahmen Kontakt auf, mit einigen kam es zur Zusammenarbeit, die teilweise noch andauert. An weitere mögliche Partner will der 63-Jährige jetzt „aktiv herantreten“. Mittlerweile sieht Kemnitz unendlich viele Anwendungsmöglichkeiten, etwa in der Zahnmedizin, wo die winzigen Partikel das für harten Zahnschmelz nützliche Fluor liefern können. Nun geht es vor allem darum, auch auf Kunststoff eine zeitlich stabile Haftung der Fluoridschicht hinzubekommen. So könnte man neben Brillengläsern auch Photovoltaikmodule, Displays oder Monitore beschichten. Bringt man Nanopartikel in Polymere ein, so lassen sich optische wie thermische und mechanische Eigenschaften des Materials verbessern. Das wird in einem neuen, vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Projekt angestrebt, an dem das HU-Team um Kemnitz neben industriellen und wissenschaftlichen Partnern beteiligt ist.
Auch nach Auslaufen seiner HU-Professur will Kemnitz in der Firma weiterarbeiten, wenn auch nicht mehr Fulltime, sondern zwei, drei Tage in der Woche. „Ich möchte, dass die jungen Leute es schaffen, ohne mich fertig zu werden“, sagt der weißhaarige Existenzgründer.
Rettungsring für IUT
Vom langsamen Abschied träumte auch Professor Jürgen Leonhardt, als er 2013 aus der von ihm gegründeten IUT (Institut für Umwelttechnologien) GmbH ausschied. Die Adlershofer Firma war auf Erkennung und Messung geringster Spuren chemischer Gase sowie von Drogen und Sprengstoffen spezialisiert.
Auch in der Medizintechnik ist exakte Analyse gefragt. Damit beschäftigte sich Leonhardt in seiner 2009 gegründeten IUT Medical GmbH. Im gleichen Jahr ging die IUT ein Joint Venture mit dem finnischen Unternehmen Environics OY ein, aus dem 2011 die Environics IUT (ENIT) GmbH entstand. Ziel war es, die IUT-Technologie zur Überwachung industrieller Anlagen auf dem US-Markt zu etablieren. Als jedoch der finnische Partner seinen finanziellen Verpflichtungen nicht nachkam und es Probleme mit Inbetriebnahme und Service der Geräte in den USA gab, musste im März 2014 Insolvenz angemeldet werden.
„Ich habe das fassungslos gesehen“, sagt Leonhardt, denn er hielt die Firma noch weitgehend für intakt. So entschloss er sich, „Assets und Rechte zu kaufen“, um die Firma mit ihren 12 Mitarbeitern wieder auf Kurs zu bringen. Es sei schon anstrengend, sagt er freimütig, ein Unternehmen, das ein Jahr lang auf der Kippe gestanden sei, wieder ins Lot zu bringen. Doch er ist zuversichtlich, bis Ende 2014 den kostendeckenden Betrieb zu erreichen. Zum Angebot gehört der Nachweis schädlicher Substanzen, etwa chlorhaltiger Gase oder Ammoniak. Auch neue Systeme zum Nachweis von Sprengstoffen werden getestet.
Warum lässt er sich mit 79 Jahren noch auf solche aufregenden Aufgaben ein? „Wenn man lange Wissenschaft und Technologie gemacht hat und das funktioniert noch im Alter, ist das sehr anregend“, antwortet der gebürtige Erzgebirgler. Am richtigen Leben teilnehmen zu können, sei ein viel besserer Jungbrunnen, als auf dem Sofa zu liegen.
Von Paul Janositz für Adlershof Journal