Page 16 - Adlershof Journal Januar/Februar 2017

CAMPUS Datenhungrig: GRÜNDER
HU-Informatikerin
Peptide Angeln
Monika Domanska

Adlershofer Start-up entwickelt innovatives Reinigungsverfahren
Die Vermessung für therapeutisch wirksame Naturstoffe

in Trio junger unternehmungslustiger Chemiker: Zwei pro- Wenn dies gelingt, winken große Marktchancen. Denn Peptide
von Gefühlen Emovieren noch, sind aber bald fertig. Neben der Doktorarbeit sind aussichtsreiche Kandidaten für therapeutische Wirkstoffe.
Sie werden zweistufig hergestellt. Nach der Synthese kommt die
haben die Forscher innovative Ideen bezüglich umweltschonen-
der und wirtschaftlich günstiger Herstellung von Peptiden ent-
wickelt. Als Peptide werden Proteine bezeichnet, die aus bis zu Reinigung. „Oft werden 99 Prozent Reinheit gefordert“, sagt Sar-
ma. Das geschieht meist durch ein komplexes Trennverfahren,
100 Aminosäuren aufgebaut sind. Die Naturstoffe können auch die Hochdruckflüssigkeitschromatografie (HPLC). EnviroPep hat
chemisch synthetisiert werden. Peptide haben wichtige biologi- nun eine zeit- und kostengünstige sowie – dank des Verzichts
Schweiß, Herzrasen, Zittern: Lassen sich aus körperlichen Studienteilnehmer werden dafür Sensoren tragen. Das können sche Funktionen, etwa als Hormone. Sie können beispielsweise auf organische Lösungsmittel – umweltschonende Alternative
Reaktionen Gefühle ablesen? Ja, meint die Doktorandin Armbänder sein, aber auch Sensoren in T-Shirts oder Mützen, an auch Entzündungen beeinflussen und gegen Bakterien oder erarbeitet. Dabei wird das Peptid am Ende der Synthese mit ei-
Monika Domanska. Mit Sensoren versucht sie am Institut einer Brille oder im Gürtel. Die Aufgabe der Informatikerin ist es Viren wirken. nem „Fängermolekül“ markiert. Anschließend kommt die Reakti-
für Informatik der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) in dann, den Datenberg durchzuarbeiten. „Jedes körperliche Signal onslösung auf einen Filter, der das markierte Peptid festhält und
Adlershof die Signale des Körpers zu entziffern. Ihre Er- muss ich zunächst einzeln betrachten und analysieren, etwa in EnviroPep heißt das Start-up, das Oliver Reimann (Leibniz- die Verunreinigungen durchlässt. Dann wird das Fängermolekül
kenntnisse könnten für Psychotherapeuten hilfreich sein. welchen Momenten der Puls angestiegen ist. Ist derjenige zum Institut für Molekulare Pharmakologie), Robert Zitterbart wieder abgetrennt, das reine Peptid bleibt übrig. „Catch and Re-
Bus gerannt oder hat er sich über etwas aufgeregt?“, erklärt (Humboldt-Universität zu Berlin, HU) und Dominik Sarma (Bun- lease“, mit diesem Begriff aus der Anglersprache kennzeichnet
tellen Sie sich folgende Szene vor: Eine Patientin hatte in den Domanska. Auch Parameter wie die Körpertemperatur, die bei desanstalt für Materialforschung und -prüfung, BAM) gründen Sarma das Prinzip.
Svergangenen Monaten bereits zwei Panikanfälle. Beide Male, Menschen von Tag zu Tag und je nach Jahreszeit schwanke, wollen. „Es geht darum, Peptide nach der Synthese effektiver und
wenn sie sich überlastet fühlte. Sie ist Verkäuferin, es ist Mitte müssen in die Datenauswertung einfließen. weniger aufwendig reinigen zu können“, sagt Sarma. Er sitzt im Das Verfahren lässt sich dank variabler Filtergröße flexibel ein-
Dezember, Zeit für die Weihnachtseinkäufe. Seit Stunden arbei- Projektbüro, das die BAM zur Verfügung gestellt hat, ebenso wie setzen, vom Milligramm bis zum Kilogrammmaßstab. Zudem
tet die Frau im Akkord. Jede Minute ein neuer Kunde, unzählige Anschließend muss Domanska die Signale von Herz, Haut oder das Labor gleich nebenan. Der Gründungsservice der HU sowie funktioniert es auch in Fällen, in denen Peptide mit sehr ähn-
Artikel einscannen, schnell und fehlerfrei kassieren, auf Wunsch Bewegung im Zusammenhang zueinander betrachten. „Für Oliver Seitz, Professor am Institut für Chemie als wissenschaft- lichen physikalisch-chemischen Eigenschaften zu trennen sind,
die Ware zu Geschenken verpacken, freundlich bleiben. Die Pati- jeden Menschen ergibt sich aus den Sensormessungen ein ganz licher Mentor, halfen, das Projekt zu entwickeln. besser als die Chromatografie. Auch für den parallelen Einsatz
entin ist sehr angespannt, ihr Puls erhöht, ihre Hände schwitzen, individuelles Muster, das in bestimmten Situationen wieder- mit vielen kleinen Mengen von Peptidlösungen eignet sich die
Seit September 2016 wird das Start-up durch das Förderpro-
der Kopf brummt, ihr Körper signalisiert: Stress. In einer Psycho- kehrt“, sagt die Nachwuchswissenschaftlerin. Eine bestimmte Methode. Das erleichtert Automatisierung und Aufbau von
therapie hat sie gelernt, auf diese Signale zu achten, kurz durch- Kombination aus Puls, Schweiß auf der Haut und Bewegung gramm EXIST des Bundesministeriums für Wirtschaft sowie den Peptidbibliotheken.
Europäischen Sozialfonds mit rund 700.000 Euro unterstützt.
zuatmen, sich nicht hetzen zu lassen. Doch jetzt vergisst sie all könnte zum Beispiel bei einem Angstpatienten ein Hinweis
das, ist unwirsch. Sie braucht einen Helfer. Was wäre, wenn ein darauf sein, dass dieser sich in einem emotionalen Zustand be- Ein Betriebswirtschaftler wurde kürzlich als weiterer Mitarbeiter Bei so vielen Möglichkeiten könnte man als Start-up-Gründer
schlaues Armband diese Funktion übernimmt? Wenn das Acces- findet, der bereits mehrfach in eine Panikattacke mündete. Das gewonnen. Der Businessplan soll nun ausgearbeitet und – mit leicht nervös werden. Doch Sarma spricht von „positiver Anspan-
der BAM als Kooperationspartner – die Technologie zur Markt- nung“. Sie seien „gut aufgestellt, flexibel und zuversichtlich“.
soire die körperlichen Signale messen und verstehen würde und Gerät würde dann eine Warnung senden. Ein Sensorarmband
der Patientin den Hinweis geben könnte, gelassen zu bleiben? könnte beispielsweise leuchten, piepen oder vibrieren – und der reife gebracht werden. Bis Februar 2018 ist die Gründung einer Geschicktes Projektmanagement werde helfen, kritische Phasen
GmbH vorgesehen. zu erkennen und entsprechend zu reagieren. pj
Patient dann bewusst gegensteuern.
Tatsächlich könnten tragbare Sensoren bald zur Standardausrüs-
tung von Psychotherapeuten gehören. Monika Domanska, Dok- „Die Auswertung eines Datensatzes wird am Anfang viele Stun- Gute Ausgangslage: Das EnviroPep-Team nutzt Labor- und Büroflächen der BAM
torandin am Institut für Informatik der Humboldt-Universität zu den bis Tage dauern. Am Ende entsteht ein Algorithmus, der
Berlin in Adlershof, leistet dafür viel Vorarbeit. Sie erforscht, wie in Bruchteilen einer Sekunde die Daten von dem Patienten er-
Gefühlszustände mit Sensoren gemessen und erkannt werden kennt und die Gefühlslage einordnet“, sagt Domanska. In den
können. „Die Symptome psychischer Probleme wie Depressionen, kommenden Jahren wird in Kooperation mit dem Institut für
Schizophrenie oder Angststörungen äußern sich zum Beispiel als Psychologie in Adlershof darauf basierend ein „Mood Trainer“
Schwankungen der Pulsfrequenz, des Blutdrucks, des Gewichts, entstehen. Diese digitale und tragbare Anwendung soll dem
in der elektronischen Leitfähigkeit der Haut, darin, wie viel sich Patienten helfen, seine Gefühle im Alltag besser zu erkennen
jemand bewegt, und vielen weiteren messbaren Werten“, erklärt und in der Psychotherapie gelernte Maßnahmen gegen Frust,
die Informatikerin. Die eigenen Emotionen wahrzunehmen und Ärger oder Angst besser einzusetzen.
einordnen zu können, sei ein wichtiger Baustein der kognitiven
Verhaltenstherapie. Tragbare Sensoren könnten den Patienten „Ich wünsche mir, dass meine Forschung die medizinische Ver-
das Lernen dieser Fähigkeit im Alltag erleichtern. sorgung von Menschen mit psychischen Problemen verbes-
sert“, sagt Domanska. Keinesfalls sollen tragbare Sensoren eine
In ihren Studien möchte Domanska einige der Körpersignale persönliche Behandlung ersetzen, sondern vielmehr Teil davon
zunächst bei Gesunden und später bei Patienten erheben. Die werden. jh

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